Titel und Einleitung
Drogenkrieg auf den Philippinen - Kollateralschaden KindReportage von Hartmut Schwarzbach/argus
„If somebody gets killed. Sorry. You’re collateral damage.“
„Wenn jemand stirbt. Tut mir Leid! Dann bist du ein Kollateralschaden.“
President Rodrigo Duterte am Freitag, den 18.August 2017
gefördert vom Kulturwerk der VG Bild-Kunst 2017-2020
Das nächtliche Töten
Im Drogenkrieg des Präsidenten Rodrigo Duterte starben seit seinem Amtsantritt am 30.Juni 2016 mehrere Tausend Menschen, je nach Quelle wird die Zahl der Toten von 6.000 bis 27.000 angegeben. Fast alle Opfer stammen aus den Armenvierteln und sind kleine Drogendealer oder Konsumenten. Mindestens 29 Kinder wurden bei den Aktionen direkt erschossen, ebenso etliche Nachbarn oder Freunde, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Von den großen Drogenbossen, die das Land mit Shabu (so wird hier Crystal Meth genannt) überschwemmen wurde kaum einer gefasst. Ein Ende des staatlich verordneten Massenmordes ist nicht in Sicht.
Trauer und VerzweiflungViele Angehörige können es nicht glauben, dass es ausgerechnet ihre Familie getroffen hat. Wer Anklage erhebt, läuft Gefahr selbst in die Schusslinie der Polizei zu kommen. "Wenn die Kriminellen zu Tausenden getötet werden, ist das nicht mein Problem!" *Präsident Rodrigo Duterte
Opferfamilien 01
Opferfamilie Lucena
Opferfamilie Lucena
Ein paar Tage später entdeckte Tochter Rachel das Foto ihres toten Vaters auf Facebook gepostet. Großmutter Dolores kümmert sich schon lange um die Kinder, denn Mutter Raquel starb schon 2009 an Brustkrebs. Für die Bestattung lieh sich die Familie 35.000 Pesos (ca. 600 Euro) von einer Tante aus den USA.
Opferfamilie AbaySitio Salvador, Barangay Tanke, Talisay City, Cebu
Seine Frau Merlita und ihre fünf Töchter Necole(5), Irene(14), Irish(17), Shein Therese(19), Mae Dianne(20) und Sohn Clifford(24) haben nicht den Hauch einer Ahnung über das Motiv der Täter. Sie sind fassungslos und können sich den Tod des Familienvaters nicht erklären. Allerdings ist der Stadtteil Talisay im Süden von Cebu City schon lange ein bekannter Hot Spot für Drogen auf den Philippinen und der Tanod Police Chef war aktiv im Kampf gegen Dealer beteiligt. Im Jahr 2018 als hier noch Shabu öffentlich auf der Straße verkauft wurde, forderte Präsident Duterte ein härteres Vorgehen von der Polizei, dann eskalierte der Krieg mit den Drogensyndikaten. Nonelito Abay ist nur einer von vielen erschossenen Polizisten. Er wurde am 10.März 2019 auf dem Cansogong Friedhof beigesetzt.
Opferfamilie AbaySitio Salvador, Barangay Tanke, Talisay City, Cebu
Opferfamilie Algoso, Cebu
Das Bild zeigt Christian(14) am Grab seiner Mutter auf dem Calamba Friedhof.
Inayawan Dumpsite Cebu
Die zweitgrößte Müllhalde des Landes bietet vielen Familien ein Einkommen. Die Scavenger sammeln Plastik, Metall und Papier und verkaufen es an Recycling-Händler. Doch das Einkommen reicht nicht, um eine Familie zu ernähren. So müssen auch viele Kinder mit anpacken und arbeiten. Wer hier geboren wird, hat kaum eine Chance auf ein besseres Leben und dem Kreislauf er Armut zu entgehen. Viele Menschen können sich nur eine Mahlzeit am Tag leisten, Drogen sind billig und mit Shabu ist der Hunger für ein paar Stunden verschwunden.
Hinrichtungen durch Polizeigewalt
Myca Ulpina (3)Tod durch PolizeikugelDas dreijährige Mädchen ist das bisher jüngste Opfer im Drogenkrieg
Am Morgen des 29.Juni um 07:40h kam es bei einer sogenannten Buy-Bust Operation der Polizei in der Pines Street im Stadtteil Salvador, Barangay San Jose zu einem Schusswechsel, bei dem der Hauptverdächtige Drogendealer Renato „Kato“ Dolorfina seine dreijährige Tochter Myca als menschliches Schutzschild benutzte. Polizei Sergeant Conrado Cabigao kam undercover in Zivil mit zwei Kollegen in das Haus, um vorgetäuscht Drogen zu kaufen. Dabei erkannte Renato Dolorfinas Komplize Cabigao als Polizisten und eröffnete das Feuer. Bei dem Schusswechsel soll Dolorfina seine Tochter als menschliches Schutzschild benutzt haben. Das Mädchen wurde am Kopf getroffen und verstarb am nächsten Tag im Krankenhaus, Dolorfina und sein Komplize waren auf der Stelle tot, der Polizist verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus.
An der Version der Polizei gibt es erheblichen Zweifel und viele Ungereimtheiten. Der Polizeichef von Rodriguez Rizal wurde suspendiert, gegen die beteiligten Polizisten läuft ein Gerichtsverfahren wegen Mord.
Myca Ulpina(3)Tod durch PolizeikugelDas dreijährige Mädchen ist das bisher jüngste Opfer im Drogenkrieg
Trauerfeier für Myca
Myca Ulpina wurde am 9.Juli 2019 im Forest Lawn Memorial Park beigesetzt. Die Trauerfeier leitete der katholische Priester Flavie Villanueva und stand unter großem öffentlichen Interesse der philippinischen Medien, die ausführlich über den Fall berichteten. Die Mutter wurde daraufhin zum Schutz vor Vergeltung an einen geheimen Ort in eine Einrichtung der katholischen Kirche gebracht.
Opferfamilie Lopez
Opferfamilie Lopez
Mutter Normita Lopez fordert für den kaltblütigen
Mord an ihrem Sohn Gerechtigkeit. Die mutige Frau
schloss sich der Widerstandsbewegung Rise up for Life
an und kämpft nun auf gerichtlichem Weg um Vergeltung. In einem Land, in dem der Rechtsstaat in vielen Teilen außer Kraft ist, ein lebensgefährlicher Weg, aber das ist ihr egal.
„Ich möchte den Polizisten im Gefängnis sehen!“,
sagt sie am Grab ihres Sohnes auf dem Friedhof North Cemetery.
Opferfamilie Alferez, Lorega Slum Cebu
"Do it yourself, if you have the gun. You have my support!" Präsident Rodrigo DuterteCarreta Friedhof Cebu
Witwe Lovely am Grab ihres Mannes. Für die Beerdigung mußte sie sich Geld leihen und auch das Grab kostet sie 5000 Pesos für fünf Jahre, ca.100 Euro. Geld das sie nicht hat. Die Familie ist auf die Hilfe von Nachbarn und Verwandten angewiesen.
Nächtliche Jagd nach Drogen
Nächtliche Jagd auf Drogen - Millionen Fund in Quezon City
Widerstand von Menschenrechtlern
Opferfamilie PeregrimoPayatas, Quezon City
Kollateralschaden Zerstörte Familien
Rettung der Kinderseelen
Viele Kinder sind traumatisiert und benötigen eine Therapie: Das Foto zeigt die Waisenkinder Alden und Linda mit Bildern ihrer ermordeten Eltern.
Widerstand und Hilfe
Angehörige fordern Gerechtigkeit
Protest für Menschenrechte
Opferfamilie LucasiaBagong Silangang, Quezon City
Irma Lucasia hat sich „Rise up for Life“ angeschlossen
und ist eine der Klägerinnen der Sammelklage
gegen Präsident Duterte vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Opferfamilien 02
Opferfamilie Robles
ein Slum am Meer inmitten von Abfällen und Plastikmüll. Die Männer hier sind Fischer und gehören zu den Ärmsten des Landes, denn vom Fischfang kein niemand mehr seine Familie ernähren. Mutter Rosanna versichert, mit der Operation Tokhang und Drogen habe ihre Tochter nichts zu tun. Sie wurde versehentlich erschossen.
Ziel der maskierten Männer in der Nacht zum 25.Januar 2018 im Stadtteil Cavite war eigentlich ihr drogensüchtiger Ehemann Jefferson. Doch der bemerkte wie jemand an der Tür rüttelte, sprang rechtzeitig aus dem Fenster und floh. Stattdessen wurde Jackilou von fünf Kugeln durchsiebt, denn sie schlief für den Mörder unsichtbar unter einer Decke neben ihrem siebenjährigen Sohn Renc. Ehemann Jefferson ist untergetaucht. Jackilou hinterlässt die fünf Kinder Kurt (3), Ramilin (5), Renc(7), Junis(12) und ihre schwangere Tochter Michelle Silvia(18), die nun bei den Großeltern in Navotas wohnen.
Navotas am Manila Bay
Opferfamilie Mabala CebuSitio Magay, Barangay Tanke, Talisay City, Cebu
Die dreijährige Juliana (rechts im Bild auf ihrem Grab) verstarb auf dem Weg ins San Isidro Krankenhaus. Sie wurde am 16.November 2016 auf dem Aglipay Friedhof beigesetzt.
Opferfamilie CabangongBagong Silangang, Quezon City
„Als der Mord geschah, war ich in der Provinz Bataan. Da rief mich eine Nachbarin an, dass unser Haus von der Polizei und von maskierten Männern durchsucht wird. Während des Telefongesprächs konnte ich hören, wie die Polizei meinem Vater befahl, die Tür zu öffnen. Ich hörte auch, wie sie mit großen Hammern die Tür aufschlugen. Als er die Tür öffnete, hörte ich einen Schuss und weinte. Dann rief ich meine Schwester an, die schon vor Ort war. Ich hörte einen zweiten Schuss, der meinen Vater in den Kopf traf, und einen dritten in den Rücken. Dann arrangierten die Polizisten den Tatort und reinigten die Spuren, so dass keine Kugeln gefunden werden konnten. Insgesamt nahmen zwanzig Polizisten und einige Vermummte an der Aktion teil. Ja, unser Haus war bekannt dafür, dass hier Drogen verkauft wurden.“
Opferfamilie MangalindanBagong Silangang, Quezon City
(Nachtrag: Die Mutter ist mittlerweile wieder zu Hause. Sie wurde von ihrem Arbeitgeber in Kuwait vergewaltigt und ist schwanger.)
Tondo
Im März 2020 erreichte das Coronavirus die Philippinen. Präsident Duterte verhängte ein Ausgangsverbot für die Bevölkerung und drohte mit Erschiessungen bei Zuwiderhandlung, eine weitere unnötige Form der Eskalation. Der Kampf gegen Drogen ist vorrübergehend zweitrangig, denn nun geht es für große Teile der Bevölkerung ums nackte Überleben. Besonders die Armenviertel wie hier Tondo am Manila Bay sind besonders betroffen.Kampf gegen Corona und Hunger statt Kampf gegen Drogen
© Hartmut Schwarzbach, Hamburg Germany